Was können wir tun, damit in Quedlinburg das Licht nicht ausgeht?

Gedanken und Fragen zur ARD-Themenwoche #wieleben

Der MDR stellt eine düstere Prognose für Sachsen-Anhalt – Fünf Dinge, die auf Sachsen-Anhalt zukommen.

Demzufolge

  • wird Sachsen-Anhalt immer älter,
  • wird die Bevölkerung weiter schrumpfen,
  • widersetzen sich nur wenige Orte diesem Trend (Quedlinburg ist nicht dabei),
  • werden die Arbeiter weniger und die Rentner mehr,
  • wird Sachsen-Anhalt noch mehr an politischem Einfluss verlieren.

In einem weiteren Beitrag hat der MDR mit Jugendlichen in Quedlinburg gesprochen.
Darin wird deutlich, dass „Weltkulturerbe, gesunder Tourismus und die wunderschöne Altstadt“ aus Sicht der Jugendlichen für eine lebenswerte Zukunft in Quedlinburg bei weitem nicht ausreichen.

2019 lebten etwa 4.360 Menschen im Alter unter 25 Jahren in Quedlinburg, 2030 sollen es nur noch rund 3.970 sein. 1990 waren es noch über 10.800.
Während der stärkste Bevölkerungsrückgang in der Gruppe der 25 bis 55-jährigen (-33%) zu erwarten ist, wächst die Gruppe der über 67-jährigen (+20,2%) im Zeitraum 2014-2030 am stärksten. Das bedeutet, dass die Bevökerungsgruppe, die sich mit ihren Familien in Quedlinburg niederlassen müsste, am stärksten schrumpft. Und damit fehlen auch deren Kinder. Ein Teufelskreis.

Um diesem Trend entgegen zu steuern, müssen wir uns zuerst einmal fragen, warum diese entscheidende Bevölkerungsgruppe Quedlinburg verlässt.
Natürlich fallen uns zuerst die fehlenden Arbeitsplätze ein. Das ist sicher auch richtig. Aber wahrscheinlich gibt es weitere Gründe. Im oben genannten MDR-Beitrag benennen Quedlinburger Jugendliche folgende Gründe, warum sie nicht in Quedlinburg bleiben wollen oder können:

  • Freunde ziehen weg – was soll ich dann noch hier?
  • Viele verlassen die Region, um ihren Neigungen entsprechend zu studieren. Das Angebot der Hochschule Harz ist unzureichend.
  • Es existieren (außerhalb der „Reiche“) kaum Freizeitangebote für Jugendliche.
  • Jugendliche wünschen sich Discos, Orte, an denen sie sich treffen können, wo die Getränke für die Schülerinnen und Schüler erschwinglich sind, die Kulturangebote an ihre Bedürfnisse angepasst, wo sie sehen können: hier wird etwas für uns getan.
  • „Ich habe das Gefühl, dass viele Leute sich freuen, wenn die Jugendlichen wegziehen, weil es dann für die Touristen besser ist.“
  • Quedlinburg, das ist … „Die Stadt der Alten“. Wenn die jungen Menschen nicht mehr da sind, sei es still in den Straßen. Als Jugendliche in Quedlinburg zu leben, gleiche einer echten Herausforderung, denn es gäbe einfach nichts, um sich die Zeit zu vertreiben.
  • Ein oft beklagtes Thema: die ÖPNV-Anbindungen. Auch die Jugendlichen bemängeln die Anbindungen, … „Wenn man jetzt nach Halberstadt will, wo das nächste größere Kino oder Schwimmbad ist, dann bezahlt man knapp sechs Euro für eine Fahrt und fährt eine halbe Stunde. Man hat hier kaum Möglichkeiten und Perspektive gibt es hier nicht gerade viel.“
  • An Arbeitsplätzen wird es den Prognosen nach in Quedlinburg nicht unbedingt mangeln. Aber:
    „Okay, man kann hier arbeiten gehen, aber, was macht hier die Lebensqualität aus? Arbeiten zu gehen? Oder arbeiten zu gehen und auch sonst noch etwas unternehmen zu können? Man hat hier kaum etwas, was ansprechend ist. Wenn der Arbeitsplatz alles ist, dann weiß ich nicht, was mich hier noch hält.

Ernüchternde Aussagen, oder?
Welchen Ausweg sehen die Jugendlichen?
[MDR]: Ihr Lösungsansatz ist, die Zukunft und die Gegenwart schon jetzt mitzugestalten, für sich selbst und für die Generationen, die nachkommen. … „Wenn so viele weggehen, gibt es ja weniger, die sich engagieren können. Genau das ist ja das, was für uns so problematisch ist: dass es hier so wenig junge Leute gibt. Und wir wollen ja, das möglichst viele hier bleiben eigentlich.“

Im MDR-Beitrag wird das Jugendforum genannt, in welchem Quedlinburg seit 2019 Jugendlichen im Rahmen eines Projektes „Demokratie leben“ eine Stimme im demokratischen Prozess bekommen sollen.
Als Stadtrat muss ich aber leider feststellen, dass es sich hier zumindest aus meiner Perspektive scheinbar auch nur um einen weiteren Etikettenschwindel handelt, mit dem nach außen so getan wird, als würde man etwas verändern wollen. In meiner erlebten Wirklichkeit passiert nichts, was wirklich etwas im Sinne der jungen Generation ändern würde. Im Quedlinburger Stadtrat jedenfalls hat das Jugendforum bisher keine Rolle gespielt. Die meisten Stadträte kennen es wahrscheinlich noch nicht einmal.

Soviel erst einmal zur Perspektive der Jugendlichen.
Auch wenn die überwiegend ältere Bevölkerung die Probleme der Jugendlichen einfach weiter ausblendet, dann braucht niemand zu hoffen, dass ein einfaches wie beliebtes „weiter so“ alles so weiter laufen lassen wird wie bisher. Weit gefehlt, denn der konservative Ansatz führt mit Sicherheit in die Katastrophe. Das ist eine Binsenweisheit der Evolution, nach der nur denjenigen die Zukunft gehört, die sich am besten den sich ständig verändernden äußeren Bedingungen anpassen können.

Ein Spaziergang mit offenen Augen durch Quedlinburg und seine Ortsteile offenbart Folgendes:

  • Immer mehr Einzelhandelsgeschäfte schließen.
  • Moderne Gastronomie funktioniert nur noch entlang der „Touristenmeilen“. Innovative Gastronomie, die auch heutige Trends anspricht, hat in den Wohngebieten keine Chance.
  • Abends und an den Wochenenden sind die Straßen wie leergefegt.
  • Ohne Auto kommt man mit dem ÖPNV oder auf gut ausgebauten Radwegen nicht einmal in die Ortsteile, geschweige denn von der Peripherie in das Zentrum. (Akzeptabler ÖPNV beginnt mit einheitlichen günstigen Tarifen und findet mindestens im 30 Minuten-Takt mit modernen Fahrzeugen statt.)
  • Radfahrer und Fußgänger sind nach wie vor Verkehrsteilnehmer 2. Klasse.
  • Man sucht vergebens nach einer Start-Up Szene oder einem Ort, an dem eine solche entstehen könnte.
  • Kultur – der Kitt, der jede menschliche Gesellschaft zusammenhält – beschränkt sich auf althergebrachte Muster, wird von zu vielen politisch Verantwortlichen und einer widerlich hetzenden AFD zunehmend in Frage gestellt und richtet sich viel zu wenig auf eine Zukunft in Quedlinburg aus.

Man kann diese Liste sicher beliebig weiterführen. Sie sollte uns allen aber klarmachen, dass dringend etwas getan werden muss.
Jahrelang sich wiederholende Versuche wie „Einkaufsmeile Innenstadt“ oder „Wir brauchen Industriearbeitsplätze – am besten in einem neuen Industriegebiet“, oder leider auch die von Traditionalisten verfolgte Wiederbelebung vergangener Erfolge, wie dem Kaiserhof oder dem Bad in der Lindenstraße haben die Probleme bisher nicht gelöst und werden sie mit ziemlicher Sicherheit auch künftig nicht lösen.

Was wir brauchen, ist eine schonungslose Analyse der Situation und eine darauf aufbauende neue Strategie. Dieser Prozess sollte vor allem von denjenigen getragen werden, die selbst eine Zukunft in Quedlinburg haben oder anstreben. Die reichhaltigen Erfahrungen der älteren Generation sind dabei eine unverzichtbare Basis. Entscheiden müssen jedoch alle Altergruppen gemeinsam. Und ich würde vorschlagen, nicht entsprechend ihrer Zahl, sondern mit sinnvollen Gewichten in allen Altersgruppen. Wir könnten der Ermittlung der Gewichte (Stimmenanteil pro Altersgruppe) eine gesunde Bevölkerungspyramide zugrunde legen.

Wer macht mit? Wer will auch in 20 Jahren noch in einem lebenswerten Quedlinburg leben?

Und zuletzt der Hinweis und die Bitte an die junge Generation in Quedlinburg:
Macht Euch bemerkbar! Tretet in die Öffentlichkeit! Lasst Euch nicht einschüchtern! Sucht Verbündete und handelt! Es geht schließlich um Eure Zukunft.

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Eine Antwort auf „Was können wir tun, damit in Quedlinburg das Licht nicht ausgeht?“

  1. Weitere Ideen:
    Busverkehr. Viel zu große Busse. Weil das schon immer so war kann man sich gar nichts anderes vorstellen. Besser viele Kleinbusse, die öfter fahren, für wenig Geld, am Besten ganz ohne Geld, die auf Winken oder Zuruf anhalten, zum Einsteigen genauso wie zum Aussteigen. (Ich weiß, daß das im freien Deutschland nicht möglich ist wegen der Taxilobby). Sowas geht nur im Ausland. Hier nur Betonköpfe.
    Weiters die alte Idee, eine Hochschule zu etablieren. Schauen Sie sich Städte an, auch kleine, die Unis haben. Alles ist gaanz anders als ohne Uni.
    Gruß, Thomas Schindler

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