Photovoltaik auf Quedlinburger Dächern – wie können wir die Energiewende in der Quedlinburger Altstadt voranbringen, ohne den Welterbe-Status zu gefährden?

Das Bürgerforum Quedlinburg schlägt vor, schnellstmöglich eine Arbeitsgruppe zu gründen, die sich des Themas annimmt und schrittweise schnell umsetzbare Ergebnisse liefert.

Für die meisten Menschen steht inzwischen außer Frage, dass die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Energiequellen so schnell wie möglich erfolgen muss. Wer dazu einen Beitrag leisten möchte und über eine geeignete Dachfläche verfügt, installiert sich eine PV-Anlage zur Stromerzeugung oder wenigstens eine Mini-PV-Anlage (Balkonkraftwerk). Trotz ausgelaufener EEG-Förderung erfreuen sich solche Anlagen zunehmender Beliebtheit, weil sie über den Eigenverbrauch – vielleicht sogar mit einem Batteriespeicher ergänzt – spürbar die Stromrechnung senken können. Hinzu kommen immer mehr PV-Kraftwerke zu ebener Erde, die inzwischen ein lukratives Geschäft versprechen und in der Summe den Anteil erneuerbarer Energieerzeugung in Deutschland kontinuierlich nach oben treiben.
(Die kritische Betrachtung von PV-Anlagen auf Ackerböden sowie ihre Ansicht verändernde Wirkung in der Landschaft soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden – so wichtig diese Diskussion auch ist.)

Aber was machen die Menschen in der Innenstadt von Quedlinburg mit den vielen denkmalgeschützten Gebäuden? Und wie verträgt sich das mit dem Welterbe? Das sind sicher keine leicht zu beantwortenden Fragen. Ihnen ist dieser Weg bisher durch geltende Regelungen verschlossen.

Aber das muss und wird sicher nicht so bleiben.
Das Land Sachsen-Anhalt setzte bereits neue Prioritäten, wie dieser Artilel des MDR zeigt: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landespolitik/solaranlagen-denkmalschutz-100.html.
Und wie die MZ aus dem Haupt- und Finanzausschuss des Stadtrates berichtet hat, beginnt sich nun auch der Quedlinburger Stadtrat mit dieser Thematik zu beschäftigen.

Die Welt hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Klimawandel und Artensterben, Energiekrise und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine mit seinen wirtschaftlichen Folgen zwingen uns zum Umdenken. Wenn wir unsere Zukunft sichern wollen, dann müssen wir bisherige Regeln auf den Prüfstand stellen. Was ist höher zu bewerten – Denkmalschutz oder Klimakrise bzw. Versorgungssicherheit mit sauberer Energie? Das sind sicher die ersten Fragen, die man sich stellt. Aber so einfach ist das nicht. Beides ist wichtig, und wir müsssen uns die Mühe machen, die Details auseinanderzunehmen, einzeln zu bewerten, um sie dann zu einem neuen Ganzen wieder zusammenzusetzen. So kann es gelingen, neue machbare Wege zu finden, die nicht polarisieren, sondern von einem neuen Konsens in der Bevölkerung getragen sind.

Abseits von der aktuellen medialen und politischen Diskussion, in der leider oft nur „dafür“ oder „dagegen“ zugelassen und betrachtet werden, sollten wir uns in Quedlinburg systematisch mit allen für uns relevanten Fragen beschäftigen, neue Ziele definieren und gute Lösungswege festlegen, die dann in entsprechende Regelungen und Satzungen münden. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Ergebnisse dieses Prozesses müssen künftig in kurzem Zyklus regelmäßig überprüft, neu bewertet und weiterentwickelt werden. Nur eine geänderte Gestaltungssatzung, die dann wieder schematisch viele Jahre angewendet wird, kann nicht das Ziel sein, denn die Rahmenbedingungen um uns herum ändern sich mit zunehmender Geschwindigkeit. Die Herausforderungen ändern sich genauso wie der technologische Fortschritt und die damit einhergehenden neuen Möglichkeiten.

Zuerst sollten in einem kurzen, aber demokratischen Abstimmungsprozess die wesentlichen Ziele festgelegt werden. Dabei sollte die Bevölkerung möglichst breit einbezogen werden. Und da es vor allem um ihre Zukunft geht, sollten wir den jüngeren Menschen eine besondere Stimme geben.

Was könnten die wesentlichen Ziele sein?

Basis für die Zieldefinition könnten zum Beispiel die folgenden Teilziele sein:

  1. Auch für die Bevölkerung der Quedlinburger Innenstadt und die Bewohnerinnen und Bewohner von Einzeldenkmalen soll die Nutzung erneuerbarer Energie ermöglicht werden.
  2. Für alle sollen Möglichkeiten eröffnet werden, in alternative Energieerzeugung zu investieren und langfristig Geld zu sparen.
  3. Die Nutzung von PV-Anlagen und Sonnenkollektoren im Denkmalbereich soll auf gößtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung, aber auch seitens der Gäste stoßen.
  4. Die Attraktivität für das Wohnen im Denkmalbereich soll gesteigert werden, weil nur ein genutztes Denkmal langfristig erhalten werden kann.
  5. Der Welterbestatus Quedlinburgs darf nicht gefährdet werden.

Um die Ziele zu erreichen, sollten im nächsten Schritt Maßnahmen entwickelt werden. Dabei sind vielfältige Fragen zu klären, die sich aus den Zielen ableiten.
Nachfolgend einige Beispiele:

Fragen zu Teilziel 1 (Möglichkeiten für die Bevölkerung im Denkmalbereich)

Welche Rechtsgrundlagen und Rechtsgüter sind zu beachten?

Mit Unterstützung der Stadtverwaltung sind alle zu beachtenden Rechtsgrundlagen zu ermitteln. Sie müssen bezüglich der Fragestellung ausgewertet werden, um Leitplanken zu benennen, innerhalb derer wir uns bewegen müssen.
Dabei sind alle geltenden Rechtsgrundlagen der EU, des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt zu benennen und hinsichtlich ihrer Relevanz zu bewerten.

Welche Rechtsgüter widersprechen sich und den Zielen, und müssen neu abgewogen werden?

Sollten einzelne Gesetze, Verordnungen oder Satzungen den Zielen im Wege stehen, dann sind Gestaltungsräume auszuloten und ggf. Wege zu prüfen, was getan werden kann, um sie – zumindest mittelfristig – zu ändern.
Steht beispielsweise der Denkmalschutz über dem Klimaschutz?
Was bewerten EU und Bundesregierung als vorrangig? Was ergibt sich für Quedlinburg aus dem „Green new Deal“ der EU und aus dem Klimaschutzprogramm der Bundesregierung?
Welche im Wege stehenden Einzelforderungen z.B. aus dem Denkmalschutz können wir neu bewerten und in Frage stellen, und welche nicht?

Wie können wir sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger von der Energiewende in Quedlinburg profitieren? Welches Angebot machen wir denen, auf deren Dächern PV nicht möglich oder nicht erlaubt ist?

Die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen muss auch im Denkmalschutzbereich möglich sein. Ökostromtarife allein reichen heir sicher nicht aus. Können sich vielleicht mehrere Grundtückseigentümer zu Genossenschaften zusammenschließen? In welchem Umfang sind Wärmepumpen einsetzbar?
Langfristig muss ein Energiekonzept für die Innenstadt entwickelt werden, welches den Weg zur emissionsfreien Innenstadt aufzeigt. Eine lohnende Aufgabe für den „Klimamanager“, den die Stadt einstellen will.

Fragen zu Teilziel 2 (Alle sollen profitieren):

Gibt es Investitions- und Beteiligungsmöglichkeiten für Bewohner im Denkmalbereich, die nicht über geeignete Dachflächen verfügen?

Damit die Attraktivität des Wohnens im Denkmalbereich nicht leidet, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, lokal oder regional zu investieren und Gewinne zu erzielen. Denkbar sind zum Beispiel ein Bürgersolarkraftwerk im Außenbereich der Stadt oder die Möglichkeit, Anteile an bestehenden oder neuen Solarkraftwerken zu erwerben.

Was können wir den Bürgerinnen und Bürgern mit Hilfe der Stadtwerke anbieten? Hier sind Vorschläge der Stadtwerke Quedlinburg gefragt.

Fragen zu Teilziel 3 (Akzeptanz)

Welche „roten Linien“ bzgl. der Akzeptanz existieren aktuell in der Bevölkerung?

Ein Meinungsbild der Quedlinburger Bevölkerung muss ermittelt und ausgewertet werden. Dabei sollte versucht werden, die Meinungen der Altersgruppen so zu wichten, dass sich eine gesunde Bevölkerungsverteilung ergibt.

Was kann unternommen werden, um ggf. die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verbessern?

Um einen möglichst breiten Konsens zu erzielen, sollten Maßnahmen zur Verbesserung der Akzeptanz geplant und durch geführt werden. Vorstellbar wären Informationsveranstaltungen, Nutzung der Möglichkeiten der VHS oder die Schaffung einer Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger.

Wie wird seitens der Tourismusbranche (QTM, Hotels, Gastronomie, Einzelhandel) die Akzeptanz seitens der Gäste der Stadt eingeschätzt?

Auch hier sollten Umfragen durchgeführt werden sowie vorhandenes Material von Tourismus- und anderen Verbänden ausgewertet. werden.

Welche wirtschaftlichen Folgen hätte mangelnde Akzeptanz seitens der Gäste?

Die Beantwortung dieser Frage ist wichtig für das Maß der Berücksichtigung der Akzeptanz durch Gäste.

Fragen zu Teilziel 3 (Denkmalerhalt durch Nutzung)

Würden Menschen aufgrund fehlender Möglichkeiten, PV-Anlagen nutzen zu können, wegziehen oder gar nicht erst nach Quedlinburg ziehen?

Der Welterbemanagementplan fordert die Förderung der Nutzung der Gebäude im Welterbegebiet, weil es nur durch aktive Nutzung langfristig erhalten werden kann.
Es sollte geprüft und eingeschätzt werden, welche Folgen es hätte, wenn das bestehende Verbot des Einsatzes von PV-Anlagen weiter beibehalten werden würde.

Kann man künftig Menschen nach Quedlinburg und speziell in den Denkmalschutzbereich locken, wenn man ein Angebot für die innovative Kombination von Wohnen im Denkmal und modernstem Komfort macht?

Altes mit Neuem kreativ zu kombinieren ist für viele Menschen eine lohnenswerte Herausforderung. Welche Möglichkeiten können wir hier schaffen oder stärker bewerben? So könnten mehr kreative Menschen die Quedlinburger Innenstadt bereichern.

Teilziel 4 (Welterbestatus)

Was sagen die Welterbekommission und ICOMOS?

Der Oberbürgermeister hat bereits eine entsprechende Anfrage bei ICOMOS gestellt. Die Antwort ist nun abzuwarten und entsprechend auszuwerten. Ggf. müssen detailliertere Nachfragen folgen.

Wie gehen andere Welternestätten mit der Fragestellung um?

Über die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Welterbestätten sollten eine entsprechende Diskussion und ein Erfahrungsaustausch angestrebt werden.

Könnte Quedlinburg nicht eine Vorreiterrolle einnehmen und einen nationalen Kongress planen und durchführen, der all diese hoch aktuellen Fragen adressiert?

Das wäre gleichermaßen eine Chance als auch eine große Herausforderung. Aber es würde sich lohnen. Wir könnten zeigen das „Machen“ viel besser ist als „Abwarten“.
Lassen Sie uns Wege finden anstatt nach Gründen zu suchen, warum etwas nicht geht.

Nun brauchen wir nur noch diejenigen, die sich der Aufgabe annehmen, in die Hände spucken und loslegen! Je mehr mitmachen, umso schneller kommen wir voran. Also worauf warten?

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