Das Industriegebiet Quarmbeck

Noch vor kurzem hätte ich nicht geahnt, dass ein Problemkreis wie dieser auf den inneren Schirm meines geistigen Universums gerät. Aber nicht zuletzt durch den vor wenigen Tagen auf unserer Seite erschienenen Artikel von Steffen Kecke, ist es mir nun doch ein Bedürfnis, einigen weiteren Stoff zu diesem Thema anzubieten.

Die Geschichte dieses Industriegebietes steht schon etliche Jahre auf der Agenda. Ursprünglich handelt es sich um eine Idee des Ex-Bürgermeisters Dr. Eberhard Brecht, der leider zu viel Angst um die Verarmung unserer Stadt hatte. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass man in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland nicht wirklich verarmen kann. Eigentlich kann man nur angestachelt werden – von wem auch immer – zum Geld ausgeben und/oder -einnehmen.
Das ist meine unumstößliche Meinung!

Das Gebiet nimmt etwa 70 Hektar ein. Es handelt sich um den ehemaligen Truppenübungsplatz Quarmbeck zwischen den heutigen Ortsteilen Gernrode / Bad Suderode und der Kernstadt, einem angenehmen, trockenrasigen Naturraum, der von einer alten Eisenbahnstrecke teilweise eingegrenzt wird.
Am 23. 10. 2008 wurde dann der Aufstellungsbeschluss Nr.31 „Industriegebiet Quarmbeck“ gefasst. Der Rat beschloss zwar dieses Vorhaben, aber die Träger öffentlicher Belange spielten vom ersten Augenblick an nicht mit. Ein zweiter Entwurf musste entwickelt werden, der im Dezember 2011 vorgelegt wurde.
Es ging hier wohlgemerkt immer um ein Industriegebiet. Damit ging es um andere
Bemessungsgrenzen als in Gewerbegebieten. Höhe der Bauwerke, ihre Kubaturmassen, Licht- und Schallemissionen und viele weitere wichtige Parameter waren für Städte wie Hamburg, Berlin, Leverkusen oder Nürnberg zugeschnitten, nicht aber für eine Kleinstadt mit Welterbe-Status.
Dieser sogenannte „2. Entwurf“ erhielt im Jahr 2012 vom Landesamt für Denkmalschutz und Archäologie Halle eine niederschmetternde Beurteilung. Die für uns zuständige
Landeskonservatorin Frau Dr. Ulrike Wendland sandte der Stadt mehrere Seiten Argumentation, die durchweg in folgendem Stil gehalten waren:

„Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass eine Verwirklichung der im B-Plan-Entwurf  vorgesehenen Industrie- und Gewerbebebauung eine erhebliche Beeinträchtigung des außergewöhnlichen, universellen Wertes der Welterbestadt Quedlinburg darstellt. Diese Planung steht im Gegensatz zu den von der Stadt Quedlinburg derzeit in Ortsanalyse und Denkmalpflegeplan selbst festgestellten Denkmalwerten und Schutzgütern. Sie steht im Gegensatz zur Selbstverpflichtung der Stadt zur bewahrenden Entwicklung des Welterbes, die derzeit im weiteren Welterbe-Managementplan formuliert werden. Angesichts der großen Werte, die auf dem Spiel stehen, ist das Industriegebiet vergleichsweise klein. Ein großer Wirtschaftsimpuls wird von ihm nicht ausgehen. Es sind Planungsbilder des 20. Jahrhunderts, wenn nicht auf Verdichtung und Neunutzung von Brachen gesetzt wird, sondern nach wie vor auf den Verbrauch von Kultur,  Frischluftschneisen, Grünflächen, Böden. Die vergleichsweise geringere zersiedelte historische Kulturlandschaft in der Mitte von Deutschland in dieser Qualität sind ein hohes Kapital. Die Entwicklung hat gerade erst begonnen. Es ist eine Fehlentscheidung, hier ausgerechnet Industrie ansiedeln zu wollen.“

Die Landeskonservatorin betitelte die Schwerpunkte ihrer detaillierten Argumentation mit:

Was spricht gegen das geplante Industriegebiet?

  1. Erhebliche Beeinträchtigung der Landwehr und ihrer Sichtbeziehungen
  2. Zerstörung des Überganges von der Stadt in die Kulturlandschaft
  3. Erhebliche Beeinträchtigung der Stadtsilhouette und Sichtbeziehungen zum Stiftsberg von Süden
  4. Auswirkungen auf den Tourismus, insbesondere den Kulturtourismus

Wer einmal dieses Gebiet bewandert oder befährt, weiß sofort, was Dr. Wendland meint. Wir befinden uns mitten in Deutschland in einer einzigartigen Kulturlandschaft, die noch weitgehend ungestört vor dem Betrachter liegt. Andere Welterbe-Highlights wie Rothenburg ob der Tauber usw. sind bereits völlig eingerahmt von neudeutscher Allerweltsbebauung, insbesondere Gewerbeund Industrie-Flächen.
Nur bei uns haben wir die Harzberge im Rücken und vor uns erstreckt sich eine Ebene zum nächsten parallelen Höhenzug der Schichtrippen-Landschaft. Auf diesen Höhenzügen erkennt man die Türme des Feldwartensystems und davor die eingegrabenen Strukturen der Landwehr. Dahinter erhebt sich völlig frei die Stadt Quedlinburg mit der imposanten Burganlage und vielen Stadt- und Kirchtürmen. Natürlich gibt es einige Störungen durch kleinere Gebäude oder Straßen, aber diese fallen praktisch nicht ins Gewicht.
Läge in dieser Landschaft allerdings ein 70 Hektar bemessenes Industrie-Gebiet, wäre dieser Eindruck wohl nachhaltig beeinträchtigt.
Trotzdem beschloss der Stadtrat von Quedlinburg in seiner Sitzung am 16. Februar 2017 erneut, die Planungen zur Anlage dieses Industriegebietes fortzusetzen. Dies erfolgte bedauerlicherweise mit einer hauchdünnen Mehrheit von 15 Ja- zu 14 Nein-Stimmen. Auf diesen Beschluss berufen sich nun sowohl unser oben genannter „Experte“ U. Thomas samt der auf ihn eingeschworenen Mannschaft, als auch unser CDU OB Frank Ruch.
Ich nahm deshalb umgehend Kontakt mit unserer Landeskonservatorin Frau Dr. Wendland und ihrem Kollegen Andreas Huth vom Landesamt für Denkmalschutz und Archäologie in Halle auf.
Wir beschlossen, alsbald eine öffentliche Veranstaltung zu diesem Thema zu organisieren. Aus heutiger Sicht wird sie in naher Zukunft im Palais Salfeld stattfinden, und zwar am 27. April 2017.
Um das Leitmotiv nicht allzu plakativ heraushängen zu lassen, soll das Motto heißen:
„Zwanzig Jahre Welterbemanagementplan – Erreichtes und Ausblick“.
Dieses Forum soll von Frau Dr. Wendland, dem Landkreisarchäologen Dr. Oliver Schlegel und einem Vertreter der Stadt Quedlinburg, wobei wir an die Stadtplanerin Frau Julia Rippich dachten, mit Geist erfüllt werden.
Unverzüglich rief mich OB Ruch an und teilte mir mit, dass er bei diesem Forum vorn sitzen würde. Ich versuchte, ihm pfleglich klar zu machen, dass er doch gar nicht vorgesehen war und dies auch nicht seine Veranstaltung wäre. Nun gut, es war zwar einigen im BFQ nicht ganz recht, wie sich hier eingemischt wurde, aber letzten Endes überwog die Meinung: „Dann fragen wir wenigstens gleich den obersten Verantwortungsträger direkt.“

Es fand noch ein weiteres Gespräch zu Dritt mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD Dr. Christian Schickard statt, das in ähnlichem Geiste verlief, und man kann sagen, dass (fast) alle Stadträte von SPD, Grüne, BFQ und Linke einig gegen dieses Bauprojekt stehen. Daher wird es sicherlich in der nächsten Zeit zu einem Tauziehen zwischen der Ruch/Thomas-Riege und den Gegnern kommen.
(Hier wäre es wirklich noch einmal von äußerster Wichtigkeit, dass sich alle Beteiligten tatsächlich und intensiv mit der Sichtachsenstudie im Welterbemanagementplan auseinandersetzen, denn nur in ihr sieht man die Einzigartigkeit der Lage der Stadt Quedlinburg inmitten der nur wenig berührten historischen Vorharzer Schichtrippen-Landschaft liegen. Mir persönlich ist es völlig unverständlich, wie jemand so unsensibel sein kann, das in irgendeiner Weise herunterzuspielen!)
Demzufolge bekam ich als allerneuesten Fakt eine Mail, bei deren Inhalt es sich um einen Brief von der Staatskanzlei und dem Ministerium für Kultur des LSA handelt. In diesem Brief geht der Referatsleiter 66 Ingo Mundt auf Aussagen von OB Ruch bezüglich des Industriegebietes Quarmbeck ein. Mich ließen diese Aussagen an der Loyalität des OBs bezüglich der Bürgerschaft zweifeln, denn letztendlich müssen diese Bürger ja mit den Folgen von dem leben, was Frank Ruch ihnen in seiner vergleichsweise kurzen Amtszeit einbrocken wird.

Ingo Mundt schreibt:

„Sie berichten … auch über den jüngst gefallenen Stadtrat-Beschluss zur Einrichtung eines Industrie-Gebiets in Quarmbeck. Ich bin dankbar für Ihre Zusicherung, das die Stadtverwaltung unter Ihrer Leitung alles Erdenkliche unternommen hat und weiter unternehmen wird, um eine Sichtbarkeit des entstehenden Industrie-Gebiets von der Altstadt Quedlinburgs aus zu unterbinden.
Vor dem Hintergrund Ihrer Bestätigung, dass Beeinträchtigungen des Welterbes durch die städtischen Planungen in Quarmbeck ausgeschlossen werden, sehe ich gegenwärtig keine Veranlassung dazu, die an uns herangetragenen Bedenken des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie gemäß § 171 der Durchführungsrichtlinien zur Welterbekonvention der ICOMOSMonitoring-Gruppe vorzulegen oder die  Planungsmaßnahme gemäß § 172 der Durchführungsrichtlinien beim Welterbezentrum zu notifizieren. Ich möchte Sie aber bitten, sowohl das Landesamt als auch die ICOMOS-Monitoring-Gruppe … zu unterrichten ….
Ich sehe denen von Ihnen avisierten weitergehenden Informationen sowie Ihrer Stellungsnahme zu den Planungen der Stadt für das Industrie-Gebiet in Quarmbeck entgegen und bitte Sie, mich fortlaufend über die dort laufenden Schritte in Kenntnis zu setzen.“

Bravo! So kann man eine übergeordnete Aufsichtsbehörde mit Halbwahrheiten einlullen und einer wirklich besorgniserregenden Analyse durch die wahren Spezialisten aus dem Wege gehen!

Ich habe natürlich Herrn Ingo Mundt sofort angerufen und ihm erzählt, wie es aus meiner Sicht wirklich um Landschaftsschutz und Sichtachsenbeziehungen steht, was Frau Dr. Wendland mir dazu sagte und was wir dazu planen. Es war ein langes interessantes Gespräch und man hat mir versichert, dass der Fokus der Aufmerksamkeit nun ganz besonders über uns kreist!
Soweit dieser Bericht darüber, dass die Unkultur niemals schläft. In einer noch tieferen Analyse könnte durchaus ans Licht kommen, dass persönliche Zwangsvorstellungen und Abhängigkeiten, sowie Parteiendünkel und Machtgehabe bei dieser Problematik eine wesentliche Rolle spielen.
Doch soweit wollen wir die Auswertung heute nicht mehr treiben.

Anmerkung:
Der geneigte Leser kann den Eindruck dieser Darstellung noch verstärken,

indem er sich über das Netz der Stadt Quedlinburg den Welterbemanagementplan zugänglich macht und hier insbesondere die Sichtachsen-Analyse studiert.

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