Viele Leser dieses Beitrags erinnern sich noch heute gern daran, als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener fröhliche Sommertage im Freibad in der Lindenstraße erlebt zu haben.
Die 1958 neu erbaute Badeanstalt war großzügig angelegt, drei Becken, ein Ruderteich, ausgedehnte Liegeflächen und ein netter Biergarten „Zur Walkenmühle“ boten den Menschen eine Menge Freizeitspaß. Fußläufig und mit dem Fahrrad war das Freibad aus der Stadt gut zu erreichen und entsprechend hoch der Besucherstrom im Sommer.
1990 übernahm die neu organisierte Stadtverwaltung die Betriebsführung der Badeanstalt nach gut dreißigjährigem Betrieb in einem mittelmäßig vernutzten Zustand. Zu diesem Zeitpunkt begann aus meiner Sicht der eigentliche Niedergang des Quedlinburger Freibades.
Für uns, die Mitglieder des Bürgerforums, erscheinen die nun folgenden Weichenstellungen als gutes Beispiel für Fehleinschätzungen und Gleichgültigkeit seitens der kommunalen Entscheidungsträger. Sie aufzuarbeiten ist für uns wichtig, auch wenn wir damit das Geschehene nicht mehr rückgängig machen und auch kein neues Freibad herbeizaubern können. Vielleicht aber rüttelt dieser Beitrag einige Bürger auf, sich mehr in das politische Tagesgeschehen einzumischen.
In meiner Erinnerung existieren für das folgende Geschehen ein realer und drei psychologische Gründe.
Der reale Hauptgrund: Die Betriebskosten (Personal und technische Unterhaltung) konnten durch die Eintrittsreise längst nicht eingespielt werden. Die Differenz ging jährlich in die Hunderttausende D-Mark und musste von der Stadt als Betriebskostenzuschuss ausgeglichen werden.
Psychologie I: In den achtziger und neunziger Jahren wurden aus eben diesem Grunde in den alten Bundesländern immer mehr derartige Bäder für immer geschlossen. Zu alt, zu langweilig, zu teuer. Berater von dort, nicht vertraut mit unseren Zuständen im Osten, drängten dazu, das defizitäre Bad zu schließen, und Rat und Verwaltung schenkten diesen Einflüsterungen zunehmend Gehör.
Psychologie II: In den Neunzigern entstanden rings um uns ultraneue Spaßbäder, Kiesseen wurden zu Badelandschaften und man fuhr in den Ferien nach Mallorca, in die Karibik oder sonstwohin zum Baden. Wer brauchte da noch so ein hinterwäldlerisches Freibad wie in der Lindenstraße, nur mit einem Brausekiosk.
Psychologie III: Für mich der psychologische Hauptgrund; kaum ein Ratsmitglied oder Entscheidungsträger der Verwaltung besuchte jemals das Freibad, viele hatten es Jahre oder Jahrzehnte nicht mehr gesehen, manche kannten es gar nicht aus eigener Anschauung. Es gab seitens der überwältigenden Mehrzahl dieser Leute keine Identifikation mit dieser Badeanstalt.
Mitte der Neunziger Jahre übergab die Stadt zur Kostensenkung die Betriebsführung des Freibades an ihre eigenen Stadtwerke. Schon zuvor hatte man beschlossen, nur minimale Summen in die Erhaltung zu stecken.
1997/98 entstand im Aufsichtsrat der Stadtwerke die Idee, eine moderne Hallen-/Freibadkombination in der Lindenstraße zu bauen. Darin sollte es Saunen, Restaurants und Wellnesbereiche geben. Ein Blockheizkraftwerk sollte das Bad mit Strom und Wärme versorgen und zusätzlich Teile der Stadt. Parkplätze für viele PKW sollten entstehen.
Eine schöne Idee, nur leider würde sie zig Millionen DM kosten. Einen Großteil der Finanzierung hätte damals noch – unter gewissen Umständen – das Land Sachsen-Anhalt übernommen. Für den Rest mussten Investoren gewonnen werden.
Der ehemalige Oberbürgermeister Rudolf Röhricht, sein Rechtsamtsleiter Herr Scheller und der damalige Aufsichtsratsvorsitzende und Grundstücksmakler Jürgen Sänger (CDU) gingen dann auch auf die Suche nach einem Investorenkonsortium. Das sollte das restliche Geld für den Bau aufbringen. Der unweigerliche Minusbetrag, der dabei durch Baufinanzierung, Kredite und laufenden Betrieb entstehen würde, sollte von Stadt und Stadtwerken über viele Jahre beglichen werden.
Mit meinem Gegenvotum stand ich damals auf ziemlich verlorenem Posten. Ich fand es sinnvoller, das alte Freibad mit einer noch überschaubaren Summe von ein bis zwei Millionen DM zu sanieren. Auch dieses Geld hätte natürlich aufgebracht werden müssen. Die Stadt hatte in den Neunziger Jahren sehr hohe Millionenbeträge in Straßen, Stützmauern, öffentliche Gebäude, Grünanlagen, Parkplätze usw. gesteckt. Es wäre längst an der Zeit gewesen, eine jährliche Rücklage für das Freibad anzulegen. Man lachte mich aus und nannte den Einwand die „Amlingsche Armeleute-Variante“. Jüngst zu diesem Zeitpunkt war der Verwaltungshaushalt der Stadt erstmalig unausgeglichen.
Einige Räte hielten es für vernünftig, das Problem im Rat zu diskutieren, doch OB Röhricht bat uns dringend um Stillschweigen. Öffentliche Diskussion und das „Zerreden“ des Problems wären reines Gift für die Investoren, denn – wie wir ja wissen – „Kapital ist ein scheues Reh“.
Erst über ein Jahr später war der Druck einiger Ratsmitglieder so groß, dass das Projekt im Bauausschuß der Stadt vom Geschäftsführer der Stadtwerke, Herrn Wölfer vorgestellt werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war schon einiges Geld in die Planung geflossen und von Alternativentwürfen wollte niemand etwas wissen.
Kurz danach, 1999, gab es einen neuen Stadtrat und das Problem verschwand wieder in der Versenkung. Die Finanzmisere in Stadt und Land weitete sich aus und 2000 stand eigentlich schon fest, dass man kein Investorenkonsortium finden würde. Das Freibad verfiel inzwischen weiter.
Im Jahr 2001 begab sich der Aufsichterat dann endlich einmal vor Beginn der Saison selber in das Freibad und besah das Debakel mit eigenen Augen. Das Bad wurde schon seit Jahren mit einer Sondergenehmigung des Landkreises gefahren. Wir, die Aufsichtsrat-Mitglieder, sahen erstmalig, das die Böden des Nichtschwimmer- und des Schwimmerbeckens in einem sehr desolaten Zustand waren. Viele Kacheln lagen locker umher und man sah die Kies-Unterfütterung. Dadurch lief ständig Wasser aus den Becken, demzufolge mussten Unmengen Trinkwasser nachgespeist werden. Unmengen von Chlor wurden nachdosiert, was wiederum nicht mehr bundesdeutschem Standard entsprach.
Sanierung würde hier bedeuten, die Böden neu zu kacheln, eine Edelstahlwanne einzuschweißen oder eine Kunststoffabdichtung zu installieren. Außerdem wäre eine moderne Wasseraufbereitung dringend nötig als Ersatz für die betagte Chlorstation. Das hätte den Löwenanteil der Sanierungskosten ausgemacht.
Die Betonplatten um die Becken herum waren völlig ausgewaschen, rauh und teilweise schiefliegend, eine ernsthafte Verletzungsgefahr. Das Legen neuer Platten wäre nach meiner Erfahrung als ABM-Maßnahem durchgegangen.
Der Ruderterteich war inzwischen an den Anglerverein verpachtet. Die Weiden zwischen Teich und Becken waren etwa 15 Meter hoch und warfen jede Menge Schatten, Blätter und Dreck auf die eigentliche Badestelle. Hier wäre der Bauhof mit einer radikalen Fällaktion gefragt gewesen.
Den Rest der sanierungswürdigen Elemente machten Geländer, Duschen und Umkleide- und Sanitärtrakt aus.Diese Missstände hätten sukzessive beseitigt werden können. Mit anderen Worten: Mit viel Elan und guten Einfällen hätte das Kind gerettet werden können.
Doch dann verschärfte sich die Situation. Durch den Verlust der Mühlgrabenbrücke unterhalb der „Schorre“ gingen immer mehr Galgenberger über das Gelände des Freibades. Die Umzäunung wurde ständig zerstört. Das Bad wurde zum Sicherheitsrisiko erklärt. Keiner wollt ean einem Absturz ins Schwimmbecken Schuld sein. Der Stadthaushalt geriet immer tiefer in die roten Zahlen. Die Investore hatten sich in Luft aufgelöst und die Armeleute-Variante wurde nicht mehr in Angriff genommen.
Im Jahr 2002 wirde das Freibad endgültig zu einem Fall für die Gefahrenabwehr. Weil niemand mehr die Verantwortung tragen wollte, wies man ohne Wissen des Rates an, das Freibad innerhalb weniger Tage zuzuschütten.
Damit hatte sich der Kreis des kurzen Denkens geschlossen.
Einige Wochen später gründete sich die Arbeitsgruppe „Bäder“ des Stadtrates. Sie pinselt bis zum heutigen Tage müßige Konzepte für einen Badneubau. Doch den wird es in absehbarer Zeit nicht geben.
Christian Amling