Der 16. Juli 2020 war ein trauriger Tag für den demokratischen Diskurs im Quedlinburger Stadtrat

Nachdem im Bauausschuss vor wenigen Wochen darüber informiert wurde, dass im Zusammenhang mit der Erschließung des von der Quedlinburger CDU geplanten Freizeit-, Sport- und Erholungsareals (FSE) die Lindenstraße grundhaft saniert und mehr als 50 gesunde große Linden abgeholzt und anschließend durch eine Neupflanzung ersetzt werden sollen, regte sich spontan Widerstand bei vielen Quedlinburgern.
Deshalb haben die Fraktionen Bürgerforum/Grüne/QfW, Die Linke sowie SPD einen Antrag mit folgendem Wortlaut in den Stadtrat eingebracht:

Der Stadtrat der Welterbestadt Quedlinburg fordert die Verwaltung auf, die
Fällungen von alten Linden im Rahmen der Bauarbeiten in der Lindenstrasse auf das aktuell absolut notwendige Maß zu beschränken.
Auf die Fällung des laut Presseberichterstattung „erhaltenswerten“ Großteils der Bäume wird verzichtet.
Die Stadt wird beauftragt fachliche Lösungen zu finden, die bei den notwendigen Baumaßnahmen den weitestgehenden Erhalt der Bäume sichern.

Begründung:
Laut Presseberichterstattung (Mitteldeutsche Zeitung vom 16. Juni) ist ein großer Teil der nun zur Fällung vorgesehen Linden „erhaltenswert“. Die Linden in der Lindenstraße sind gerade wegen ihrer Größe und ihres Alters Stadtbild- und Wohnumfeldprägend. Der Charakter der gewachsenen Allee ist inzwischen selten, wertvoll und aus unserer Sicht dringend zu erhalten. Ein solcher Charakter ist mit einer Verjüngungspflanzung nicht wieder herstellbar. Aus dem bekannt gewordenen Gutachten ergibt sich keine fachliche Notwendigkeit für Fällungen.
Das Argument, der Strassenausbau würde durch die Verjüngungspflanzung
erleichtert wiegt aus unserer Sicht nicht ausreichend schwer, einen solch
schwerwiegenden Eingriff zu rechtfertigen.

Unser Ziel war es, angesichts des Widerstandes in Teilen der Bevölkerung das Vorhaben noch einmal gründlich zu durchdenken und gemeinsam darüber zu diskutieren, ob der angerichtete Schaden für Umwelt, saubere Luft und Lebensqualität nicht viel größer als der erhoffte Nutzen ist.

Um die Diskussion zu eröffnen, begründete ich den Antrag, wie hier nachgelesen werden kann.

Aber schon mit dem ersten Diskussionsbeitrag durch den AFD-Fraktionsvorsitzenden, der den Auftritt für eine Hassrede voller persönlicher Beleidigungen gegen die beantragenden Fraktionen und einzelne Stadträte missbrauchte, wie es seine Vorbilder der Bundes-AFD nicht besser hinbekommen hätten, markierte einen Tiefpunkt der Quedlinburger Ratsarbeit, wie es ihn seit der politischen Wende 1989 nicht gegeben hat.
Und die Vorsitzende des Stadtrates ist nicht eingeschritten!

Warum auch, wenn die CDU-Fraktion sich zunehmend ihre Mehrheiten gemeinsam mit der AFD sichert. Schließlich sucht der Fraktionsvorsitzende auch auf Landesebene den Schulterschluss mit der AFD, wie in der besorgniserregenden „Denkschrift“ zu lesen war.

Folgerichtig ging also niemand auf den Antrag und das oben beschriebene Anliegen der Antragsteller ein. Auch der mutige Auftritt eines Quedlinburger Gymnasiasten, der sich in der Bürgerfragestunde im Namen vieler Mitschüler für den Erhalt der Linden einsetzte sowie ca. 750 Unterschriften übergab, wurde mit einem lapidaren „Legen Sie sie auf den Tisch der Protokollantin.“ ignoriert. Ein tolles Signal an die Jugend!

Die CDU-Fraktion war sich einfach der Stimmen der FDP- und der AFD-Abgeordneten sicher und ist erst gar nicht auf eine Diskussion eingegangen. Statt dessen wurden eine gut vorbereitete Reihe von teilweise fragwürdigen bautechnischen Argumenten sowie merkwürdige Aussagen und Behauptungen vor allem älterer Herren aufgeführt. Auch Herr Malnati, der Leiter des Baubereiches der Stadt, hat Bilder vorgeführt, die wohl den Eindruck erwecken sollten, dass man die Lindentraße am besten zum Wohle der Anwohner sofort evakuieren müsste.

Hier wurde eindeutig ein Szenario inszeniert, welches vor allem dazu dienen sollte zu verschleiern, dass es keinen wirklichen Grund für diese überstürzte und praktisch vom Himmel gefallene Sanierungsnotwendigkeit der Lindenstraße gibt.

Daraus leitet sich die Frage ab, wem denn die Sanierung wirklich von Nutzen ist. Wer hat so ein außerordentliches Interesse daran, dass ihm die Meinung der Bevölkerung dermaßen egal ist?

Es ist zu hoffen, dass das viele der vor den Kopf gestoßenen Quedlinburger – und vor allem die jüngeren Leute – jetzt interessieren wird.

Also, liebe Quedlinburgerinnen und Quedlinburger:
Nicht verzweifeln oder gar wegziehen, sondern alle demokratischen Wege und Mittel ausloten, die geeignet sind, die Macht der alten Männer zu brechen, die von ihr und ihren Eigeninteressen nicht lassen können, und denen Eure Zukunft herzlich egal ist.

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2 Antworten auf „Der 16. Juli 2020 war ein trauriger Tag für den demokratischen Diskurs im Quedlinburger Stadtrat“

  1. Liebe Mitbürger, liebe Demokraten,

    ich halte es für sehr bedenklich, wenn eine große Volkspartei sich mit rechtsorientierten „Volksgenossen“ zusammentut nur um ihr Prestigeobjekt in der Lindenstrasse zur Ausführung zu bringen. Wenn nur für eine barrierefreie Innenstadt so viel Kraft und Härte aufgewandt würde. Es gibt doch wirklich dringendere Probleme als den Ausbau der Lindenstrasse. Auch ich bin enttäuscht über so viel Ignoranz in unserer Gesellschaft und im Besonderen den Regierenden im Stadtrat Quedlinburg.

  2. Man muss nicht bis zum Amazonas fahren, um den katastrophalen Zustand eines Waldes zu besichtigen. Ein kurzer Ausflug in den Harz reicht, um das Gruseln zu lernen.
    Aber noch gruseliger sind die Pläne von CDU, FDP und AfD 50 völlig gesunde Bäume in der Lindenstraße zu fällen. Die Durchführung dieser Pläne ist anscheinend so dringend wichtig, dass selbst rudimentäre demokratische Prinzipien ignoriert werden.

    So wurde auf Anfrage der Grünen Fraktionsvorsitzenden Susann Sziborra-Seidlitz bei der unteren Naturschutzbehörde klar, dass die Stadt QLB bisher keinen Antrag zur Fällung der Bäume gestellt hat. Wäre dies geschehen, hätte sie erfahren müssen, dass eine „Beseitigung von Alleen oder einseitigen Baumreihen , sowie alle Handlungen, die zu deren Zerstörung, Beschädigung oder nachteiligen Veränderungen führen können, verboten sind“, dass „Alleebäume Bestandsschutz haben“ und, da keine Gefahr im Verzug ist – kein Baum gefährdet das Leben der Anwohner – hat der Alleenschutz „Vorrang vor dem Straßenbau“. Die Behörde hält es für „zwingend notwendig eine Planungsvariante für die Erschließung des B-Plangebietes Freizeit-, Sport- und Erholungsareal zu erarbeiten, die den Alleenschutz beachtet“.

    Das erfordert Kreativität, vielleicht auch ein wenig Mut mal nach anderen Verkehrslösung zu suchen. Da ist ein – Baum ab – der einfachere Weg.
    Es bedeutet auch, sich an demokratische Spielregeln zu halten. D.h. u.a. Bürger umfassend zu informieren.
    Es sind nicht nur die Linden in Gefahr – der Umgang mit Demokratie in dieser Stadt auch. Deshalb : aufgepasst liebe Quedlinburger. Wenn Euch eure Bäume lieb sind, dann wehrt Euch.

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